Das Neue Steuerungsmodell: Unterschied zwischen den Versionen

Aus Agiles Verwaltungswissen
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(In England unter Margaret Thatcher gingen die Reformen besonders schnell und weit voran. Das hätte deutsche Kommunalpolitiker aber eher verschreckt. Deshalb haben sich die Protagonisten dieser neuen Paradigmen in Deutschland eher auf das Beispiel Niederlande fokussiert und hierbei auf das sog. Tilburger Modell.)
 
(In England unter Margaret Thatcher gingen die Reformen besonders schnell und weit voran. Das hätte deutsche Kommunalpolitiker aber eher verschreckt. Deshalb haben sich die Protagonisten dieser neuen Paradigmen in Deutschland eher auf das Beispiel Niederlande fokussiert und hierbei auf das sog. Tilburger Modell.)
 
=Finanzprobleme der Kommunen und das Ziel des ausgeglichenen Haushalts=
 
=Finanzprobleme der Kommunen und das Ziel des ausgeglichenen Haushalts=
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==Die Ressourcen der Kommunen werden unausweichlich schrumpfen<br />==
 
Heute stellen das Ende der Wachstumsära und die finanziellen Lasten der Wiedervereinigung die Kommunalverwaltung in das Dilemma, zunehmende gesellschaftliche Leistungsansprüche mit schrumpfenden Ressourcen befriedigen zu sollen. Der Ausweg des Größenwachstums ist versperrt. (1,7)
 
Heute stellen das Ende der Wachstumsära und die finanziellen Lasten der Wiedervereinigung die Kommunalverwaltung in das Dilemma, zunehmende gesellschaftliche Leistungsansprüche mit schrumpfenden Ressourcen befriedigen zu sollen. Der Ausweg des Größenwachstums ist versperrt. (1,7)
  
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Wird der Haushalt defizitär, frisst die Zinslast den Spielraum für aktive Kommunalpolitik auf. (1,9)
  
  
Wird der Haushalt defizitär, frisst die Zinslast den Spielraum für aktive Kommunalpolitik auf. (1,9)
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==Der spontane Drang zur Expansion der Kosten==
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Den Fachbereichen der Verwaltung ist meist weder ein präziser Leistungsauftrag noch ein strikt definierter Ressourcenrahmen vorgegeben. (Wenn die Arbeit zunimmt, wird einfach nach mehr Geld (Personal …) geschrien. Die Einzelinteressen der Führungskräfte an der eigenen Karriere veranlasst sie, die Zahl ihrer MA steigern zu wollen.) (1,9)<br />… die dem bürokratischen System innewohnende Expansions- und Verschwendungstendenz einzudämmen. (1,10)
  
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: ''Kommentar: Die Behauptung, Verwaltungen tendierten spontan immer zur Ausweitung ihrer Ressourcen - bis hin zur Verschwendung, also zur <u>sinnlosen</u> Ausweitung - wird unseres Wissens nirgendwo empirisch belegt (wenn jemandem solche Untersuchungen bekannt sein sollten, sind wir sehr an einer Mitteilung interessiert).'': ''Es gibt andere volkswirtschaftliche Theorien, warum der Anteil öffentlicher Ausgaben (incl. Sozialversicherungen) am BIP tendenziell steigt. Zum Beispiel die These, dass in der industriellen Produktion ständig rationalisiert werden kann und die Produktivität damit steigt. Dass aber im Dienstleistungssektor (und ein großer Teil der öffentlichen Leistungen sind DL) eine solche Rationalisierung engeren Grenzen unterliegt. Ärztliche Leistungen, Beratungsleistungen, Pflege, Vermittlung von Bildung - lassen sich in der Regel nicht so einfach beschleunigen. Das heißt, dass solche Leistungen relativ zu den materiellen Gütern im Preis steigen. Und deshalb beanspruchten sie einen größeren Anteil an der Gesamtwertschöpfung in einem Land.'': ''Die Erfinder des NSM gehen auf diese konkurrierenden (oder vielleicht auch nur ergänzenden) neueren Erklärungen des staatlichen Wachstums nicht ein. Wenn es nämlich für diese Tendenz ausschließlich subjektive Gründe von Führungskräften gibt und keine objektiven Faktoren, dann tut es auch den Anspruchsberechtigten der Kommunen nicht weh, wenn man dieses Wachstum blockiert. ''
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=Aufgabenabbau und Gebührenerhöhungen: nur Teillösungen=
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<br />Ein Aufgabenabbau ist unausweichlich und findet statt. (Aber dies) kann … nur ein Beitrag zur Problemlösung sein. Dasselbe gilt für punktuelle Einnahmeerhöhungen, z. B. bei den Gebühren. (1,7)
  
  
=Aufgabenabbau und Gebührenerhöhungen: nur Teillösungen =
 
<br />Ein Aufgabenabbau ist unausweichlich und findet statt. (Aber dies) kann … nur ein Beitrag zur Problemlösung sein. Dasselbe gilt für punktuelle Einnahmeerhöhungen, z. B. bei den Gebühren. (1,7)
 
  
  
 
: ''Kommentar: Worte wie "unausweichlich" (heute würde man sagen: "alternativlos") sollen Überlegungen abschneiden. Aber die Weichen dafür wurden schon im vorigen Absatz gestellt, weil dort bereits die "schrumpfenden Ressourcen der Kommunen" als Tatsache bezeichnet wurden. Aber handelt es sich nicht um gesellschaftliche (letztlich: politische) Entscheidungen?'': ''Wiederum heute (Anfang 2021, im 2. Jahr der Pandemie) lehrt uns - die wir durch Schaden klug geworden sind, also kein Vorwurf an die NSM-Verfasser - die Erfahrung, dass staatliche Vorsorge helfen kann, gigantische volkswirtschaftliche Schäden zu mildern. Wenn es genügend Vorräte an Schutzkleidung, Masken, Krankenhausbetten mit Beatmungsgeräten und ausgebildetem Personal gibt, kann man die Pandemie und ihre Folgen eindämmen. Warum soll eine Gesellschaft nicht entscheiden können, diese Mittel bereitzustellen? Warum soll es unausweichlich sein, dass das nicht passiert?  ''
 
: ''Kommentar: Worte wie "unausweichlich" (heute würde man sagen: "alternativlos") sollen Überlegungen abschneiden. Aber die Weichen dafür wurden schon im vorigen Absatz gestellt, weil dort bereits die "schrumpfenden Ressourcen der Kommunen" als Tatsache bezeichnet wurden. Aber handelt es sich nicht um gesellschaftliche (letztlich: politische) Entscheidungen?'': ''Wiederum heute (Anfang 2021, im 2. Jahr der Pandemie) lehrt uns - die wir durch Schaden klug geworden sind, also kein Vorwurf an die NSM-Verfasser - die Erfahrung, dass staatliche Vorsorge helfen kann, gigantische volkswirtschaftliche Schäden zu mildern. Wenn es genügend Vorräte an Schutzkleidung, Masken, Krankenhausbetten mit Beatmungsgeräten und ausgebildetem Personal gibt, kann man die Pandemie und ihre Folgen eindämmen. Warum soll eine Gesellschaft nicht entscheiden können, diese Mittel bereitzustellen? Warum soll es unausweichlich sein, dass das nicht passiert?  ''
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=Investitionsmaßnahmen: teurer als gedacht?=
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<br />Die Folgekosten von Investitionsmaßnahmen finden noch nicht durchweg die ihnen gebührende Aufmerksamkeit. Es fehlt eine Art Controlling-Funktion als Beratungsinstrument der Verwaltungschefs. Deshalb braucht es Controlling. (Eine Ausweitung der internen Verrechnungen sei notwendig.) (1, 8)
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=Investitionsmaßnahmen: teurer als gedacht =
 
<br />Die Folgekosten von Investitionsmaßnahmen finden noch nicht durchweg die ihnen gebührende Aufmerksamkeit. Es fehlt eine Art Controlling-Funktion als Beratungsinstrument der Verwaltungschefs. Deshalb braucht es Controlling. (Eine Ausweitung der internen Verrechnungen sei notwendig.) (1, 8)
 
  
  
 
: ''Kommentar: Auch hier wieder ein Argument zum Aufgabenabbau, hier auf dem Gebiet der Investitionen. Auch dieses Argument atmet nach unserem Empfinden den Geist der Parteilichkeit. Denn nicht nur die Folgekosten von Investitionen, sondern auch die Folgekosten von unterlassenen Investitionen wären zu betrachten. Was kosten kaputte Straßen? Was bedeuten nicht zeitig sanierte Brücken? Notdürftig geflickte Schuldächer?''
 
: ''Kommentar: Auch hier wieder ein Argument zum Aufgabenabbau, hier auf dem Gebiet der Investitionen. Auch dieses Argument atmet nach unserem Empfinden den Geist der Parteilichkeit. Denn nicht nur die Folgekosten von Investitionen, sondern auch die Folgekosten von unterlassenen Investitionen wären zu betrachten. Was kosten kaputte Straßen? Was bedeuten nicht zeitig sanierte Brücken? Notdürftig geflickte Schuldächer?''
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=Kostenbewusstsein der Führungskräfte stärken=
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… die Führungskräfte (müssen) ihren Fachbereich umfassender von der Kostenseite her kennen und steuern lernen, die reine Fachsicht hinter sich lassen und die ihnen zukommende Gesamt-verantwortung wahrnehmen. (1,8)<br />
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[[Kategorie:Die VUKA-Welt um uns herum]]
 
[[Kategorie:Die VUKA-Welt um uns herum]]
 
 
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Version vom 30. März 2021, 19:31 Uhr

Hier werden die Konzepte vorgestellt, die seit Ende der 1980er Jahre unter dem Begriff "Neues Steuerungsmodell" (NSM) vor allem von der KGSt und der Bertelsmann-Stiftung entwickelt wurden. Wir wollen damit die Wirkung dieses grundlegenden Paradigmenwechsels im bundesdeutschen verwaltungswissenschaftlichen Diskurs darstellen und aus heutiger Sicht (2021) kritisch beleuchten. Mit "kritisch" ist gemeint: wir wollen bewerten, welche Konzepte positive oder negative Effekte zur Folge hatten, damit wir heute in Richtung auf ein eventuelles "Agiles Steuerungsmodell" daraus lernen können. Es geht nicht darum, die damaligen Protagonist:innen der Diskussionen im Nachgang besserwisserisch zu denunzieren. Aber wir werden auch Fehleinschätzungen oder Fehlentwicklungen, die es in unserer Wahrnehmung gegeben hat, klar benennen.

Im folgenden Text werden Originaltexte zitiert und kommentiert. Dies geschieht in folgender Form:

  • Originalzitate werden in normaler Schrift dargestellt. Die Quellenangabe am Ende des Zitats (1, 20) verweist auf Quelle 1, Seite 20.
  • Paraphrasierte Zitate werden in (Klammern) gesetzt.
  • Kommentare der Verfasser werden kursiv gesetzt.

Internationaler Reformtrend: New Public Management

(In den USA begann Ende der 1970er Jahre mit der Wahl von Reagan zum Präsidenten eine „Einstellungsveränderung der Öffentlichkeit zur Kommunal und Staatsverwaltung“. Diese Bewegung verbreitete sich schnell auch in andere westliche Industriestaaten.) Überall ging es darum, die Kommunalverwaltung von einer primär behördlich geprägten Eingriffs- und Betreuungsapparatur zu einer kostenbewussten, marktnahen, mit ihren Bürgern zusammenarbeitenden „Problemlösungseinrichtung“ umzuwandeln. (1, 24)

(In England unter Margaret Thatcher gingen die Reformen besonders schnell und weit voran. Das hätte deutsche Kommunalpolitiker aber eher verschreckt. Deshalb haben sich die Protagonisten dieser neuen Paradigmen in Deutschland eher auf das Beispiel Niederlande fokussiert und hierbei auf das sog. Tilburger Modell.)

Finanzprobleme der Kommunen und das Ziel des ausgeglichenen Haushalts

Die Ressourcen der Kommunen werden unausweichlich schrumpfen

Heute stellen das Ende der Wachstumsära und die finanziellen Lasten der Wiedervereinigung die Kommunalverwaltung in das Dilemma, zunehmende gesellschaftliche Leistungsansprüche mit schrumpfenden Ressourcen befriedigen zu sollen. Der Ausweg des Größenwachstums ist versperrt. (1,7)

Entscheidend ist, dass nur ein ausgeglichener Etat die politischen Handlungsmöglichkeiten gewährt, die jede Kommune braucht, um ihre Entwicklungschancen nutzen und Entwicklungsrisiken entgegenwirken zu können. (1,9)


Wird der Haushalt defizitär, frisst die Zinslast den Spielraum für aktive Kommunalpolitik auf. (1,9)


Der spontane Drang zur Expansion der Kosten

Den Fachbereichen der Verwaltung ist meist weder ein präziser Leistungsauftrag noch ein strikt definierter Ressourcenrahmen vorgegeben. (Wenn die Arbeit zunimmt, wird einfach nach mehr Geld (Personal …) geschrien. Die Einzelinteressen der Führungskräfte an der eigenen Karriere veranlasst sie, die Zahl ihrer MA steigern zu wollen.) (1,9)
… die dem bürokratischen System innewohnende Expansions- und Verschwendungstendenz einzudämmen. (1,10)

Kommentar: Die Behauptung, Verwaltungen tendierten spontan immer zur Ausweitung ihrer Ressourcen - bis hin zur Verschwendung, also zur sinnlosen Ausweitung - wird unseres Wissens nirgendwo empirisch belegt (wenn jemandem solche Untersuchungen bekannt sein sollten, sind wir sehr an einer Mitteilung interessiert).: Es gibt andere volkswirtschaftliche Theorien, warum der Anteil öffentlicher Ausgaben (incl. Sozialversicherungen) am BIP tendenziell steigt. Zum Beispiel die These, dass in der industriellen Produktion ständig rationalisiert werden kann und die Produktivität damit steigt. Dass aber im Dienstleistungssektor (und ein großer Teil der öffentlichen Leistungen sind DL) eine solche Rationalisierung engeren Grenzen unterliegt. Ärztliche Leistungen, Beratungsleistungen, Pflege, Vermittlung von Bildung - lassen sich in der Regel nicht so einfach beschleunigen. Das heißt, dass solche Leistungen relativ zu den materiellen Gütern im Preis steigen. Und deshalb beanspruchten sie einen größeren Anteil an der Gesamtwertschöpfung in einem Land.: Die Erfinder des NSM gehen auf diese konkurrierenden (oder vielleicht auch nur ergänzenden) neueren Erklärungen des staatlichen Wachstums nicht ein. Wenn es nämlich für diese Tendenz ausschließlich subjektive Gründe von Führungskräften gibt und keine objektiven Faktoren, dann tut es auch den Anspruchsberechtigten der Kommunen nicht weh, wenn man dieses Wachstum blockiert.

Aufgabenabbau und Gebührenerhöhungen: nur Teillösungen


Ein Aufgabenabbau ist unausweichlich und findet statt. (Aber dies) kann … nur ein Beitrag zur Problemlösung sein. Dasselbe gilt für punktuelle Einnahmeerhöhungen, z. B. bei den Gebühren. (1,7)



Kommentar: Worte wie "unausweichlich" (heute würde man sagen: "alternativlos") sollen Überlegungen abschneiden. Aber die Weichen dafür wurden schon im vorigen Absatz gestellt, weil dort bereits die "schrumpfenden Ressourcen der Kommunen" als Tatsache bezeichnet wurden. Aber handelt es sich nicht um gesellschaftliche (letztlich: politische) Entscheidungen?: Wiederum heute (Anfang 2021, im 2. Jahr der Pandemie) lehrt uns - die wir durch Schaden klug geworden sind, also kein Vorwurf an die NSM-Verfasser - die Erfahrung, dass staatliche Vorsorge helfen kann, gigantische volkswirtschaftliche Schäden zu mildern. Wenn es genügend Vorräte an Schutzkleidung, Masken, Krankenhausbetten mit Beatmungsgeräten und ausgebildetem Personal gibt, kann man die Pandemie und ihre Folgen eindämmen. Warum soll eine Gesellschaft nicht entscheiden können, diese Mittel bereitzustellen? Warum soll es unausweichlich sein, dass das nicht passiert?

Investitionsmaßnahmen: teurer als gedacht?


Die Folgekosten von Investitionsmaßnahmen finden noch nicht durchweg die ihnen gebührende Aufmerksamkeit. Es fehlt eine Art Controlling-Funktion als Beratungsinstrument der Verwaltungschefs. Deshalb braucht es Controlling. (Eine Ausweitung der internen Verrechnungen sei notwendig.) (1, 8)



Kommentar: Auch hier wieder ein Argument zum Aufgabenabbau, hier auf dem Gebiet der Investitionen. Auch dieses Argument atmet nach unserem Empfinden den Geist der Parteilichkeit. Denn nicht nur die Folgekosten von Investitionen, sondern auch die Folgekosten von unterlassenen Investitionen wären zu betrachten. Was kosten kaputte Straßen? Was bedeuten nicht zeitig sanierte Brücken? Notdürftig geflickte Schuldächer?

Kostenbewusstsein der Führungskräfte stärken

… die Führungskräfte (müssen) ihren Fachbereich umfassender von der Kostenseite her kennen und steuern lernen, die reine Fachsicht hinter sich lassen und die ihnen zukommende Gesamt-verantwortung wahrnehmen. (1,8)




Quelle

1 Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung (KGSt) (Hrsg.): Das Neue Steuerungsmodell, Bericht Nr. 5/1993, Köln, 1993